Frauennetzwerke in Europa – Ein Interview mit Dace Luters-Thümmel
Netzwerken. Ein Thema das immer stark polarisiert und worüber jeder wohl schon etwas mal gelesen hat. Die einen betreiben es intensiver als die anderen. Aber woran denkst Du, wenn Du an Netzwerken denkst? Persönlich muss ich zugeben, dass ich dabei immer sehr national gedacht habe. Dass auch das internationale Netzwerken von hoher Relevanz ist und welche Auswirkungen dies auf die Frauenrechte weltweit hat, hat mir im Interview Dace Luters-Thümmel verraten. Das Interview ist ziemlich lang geworden, aber ein kleiner Hinweis vorweg: Durchhalten lohnt sich!
Melanie: Liebe Frau Luters-Thümmel, ich freue mich sehr, dass es geklappt hat! Könnten Sie sich zunächst kurz vorstellen?
Dace: Ich bin ehrenamtlich gesehen Generalsekretärin der European Women Lawyers Association (EWLA) in Brüssel und dort im Vorstand seit 2005 aktiv. Hauptberuflich bin ich als in Deutschland und Nordosteuropa zugelassene Rechtsanwältin und Regierungsberaterin tätig. Ich habe eine europarechtliche Zusatzausbildung und bin daher auf europäischer Ebene sowohl beruflich als auch ehrenamtlich unterwegs. Ich habe damit das Privileg mein berufliches Know-how zugleich auch gut im Ehrenamt einbringen zu können.
Melanie: Was genau macht EWLA?
Dace: EWLA ist von mehreren Juristinnenverbänden in Europa als Dachorganisation gegründet worden. Unter den engagierten Persönlichkeiten war u.a. die britische Anwältin Cherie Blair, geborene Booth. Wir fungieren jedoch nicht nur als Dachorganisation, sondern es kann auch jede Juristin als individuelles Mitglied beitreten. Wir setzen uns für die Belange von Frauen vor dem Hintergrund von Menschenrechten, der Gleichstellung und Teilhabe von Frauen in allen Lebensbereichen (Politik, Wirtschaft, Gesellschaft) ein und haben in unseren Reihen sehr prominente und engagierte Frauen. Wir können stolz sein, dass wir (ehemalige) Justizministerinnen, Professorinnen, hohe Europabeamtinnen, erfolgreiche Anwältinnen etc. an Bord haben. Wir kooperieren nicht nur mit der Europäischen Kommission, sondern auch mit dem Europarat und dem Europäischen Gerichtshof und sind in Gremien der UN vertreten.
In manchen Fällen sind wir auch auf nationaler Ebene aktiv. In Deutschland wird unser Wirken nicht so bemerkt. Dort setzt sich unsere Mitgliedsorganisation, der djb (Deutscher Juristinnenbund e.V.) selbst bereits wirkungsvoll ein. EWLA als europäische Organisation gibt in der Regel auf Brüsseler Ebene Stellungnahmen ab.
Auch organisieren wir – teilweise interdisziplinäre – internationale Fachkonferenzen. Die letzte fand im November 2019 in Madrid zum Thema „The Fourth Industrial Revolution and its Impact on Ethics – Challenges for the Agenda 2030“ unter Beteiligung vielfältiger Disziplinen statt. Die Debatten und Referate zu ethischen, juristischen, IT-technischen, finanzregulatorischen und sozialen Fragen der jüngsten industriellen Revolution werden jetzt als Buch in der Sustainable Finance Serie von Springer Palgrave veröffentlicht, damit diese Erkenntnisse in ihrer Gänze nicht verloren gehen, sondern in ihrer großen diversen Vielfalt festgehalten werden. Gerade in diesen Themen sind die sachkundigen Frauen noch nicht sichtbar genug und das wollen wir ändern. Leider musste unsere letzte im März 2020 zusammen mit dem Europäischen Gerichtshof geplante Konferenz wegen Covid-19 abgesagt und auf das Folgejahr verschoben werden.
Melanie: Welche Möglichkeiten haben Sie Einfluss auszuüben für die Verbesserung von Frauenrechten?
Dace: Wir beteiligen uns regelmäßig an den öffentlichen Konsultationen, die von der Europäischen Kommission ausgelobt werden. Aber wir sind in der Vergangenheit auch individuell in sog. „Mini-Hearings“ eingeladen und angehört worden, in denen die Europäische Kommission in Vorbereitung von Gesetzgebungsakten die sog. Stakeholder, z.B. im Trilog, speziell einlädt. So habe ich EWLA vor der Kommission vertreten als es um die Diskussion und Ausarbeitung einer Konzeption für eine stärkere Vertretung von Frauen in Führungsgremien von großen Unternehmen ging. Bemerkenswerterweise befindet sich der Richtlinienentwurf für eine Frauenquote in Unternehmen seit mehreren Jahren wegen der bisherigen Blockadehaltung Deutschlands immer noch im „Schubladen-Stadium“, obwohl Deutschland mittlerweile selbst ein Quotengesetz verabschiedet hat.
Melanie: Also sind Sie sehr viel politisch aktiv in diesem Netzwerk?
Dace: Das würde ich definitiv sagen. Es ist Lobbyarbeit. Durchaus ist es aber auch konkrete juristische Unterstützung von einzelnen Mitgliedsorganisationen. So hatte ich z.B. auch einmal ein EU-Beratungsprojekt im Zusammenhang mit der Umsetzung des EU-Freihandelsabkommens mit Moldawien. Dort hatte es mich aber zunächst hingeführt, weil uns der Europarat im Rahmen einer Anwaltskonferenz eingeladen hatte, um als Organisation die Best Practices für Berufsethik und das Engagement zur Durchsetzung von Menschenrechten vorzustellen.
So habe ich den Kontakt zu der dortigen jüngst gegründeten Juristinnenvereinigung aufgenommen, welche auch mittlerweile bei uns Mitglied ist. So wurden u.a. die Moldawierinnen zur Durchsetzung eines Rechtsanspruchs durch ein Gutachten eines unserer Mitglieder, einer Rechtsprofessorin, als amicus curiae vor dem dortigen nationalen Gerichtshof unterstützt. Die dortige nationale Regelung hatte den Effekt, dass Anwältinnen – in der generellen Annahme, diese seien stets wirtschaftlich abgesichert – vom Sozialsystem ignoriert wurden. Sie wurden direkt diskriminiert. Zur Abschaffung dieser landesspezifischen Besonderheit konnten wir unsere Mitgliedsorganisation mit Know-how unterstützen. Wir sind daher durchaus auch konkret juristisch tätig.
Melanie: Wie wichtig sehen Sie es generell, sich europaweit zu vernetzen?
Dace: Man soll ja nie sagen, dass etwas offensichtlich ist. Aber es ist in vielerlei Hinsicht wirklich wichtig, weil sich die Themen der Gleichberechtigung in anderen Ländern gar nicht so wesentlich voneinander unterscheiden. Die gegenseitige Abstimmung und der Austausch von Best Practices ist eine hilfreiche Möglichkeit, um bestimmte Problembereiche auf nationaler Ebene gemeinsam zu verbessern. Daher organisieren wir auch die Fachkonferenzen. Darüber hinaus werden die meisten gesetzlichen Grundlagen auf der europäischen Ebene und nicht erst auf der nationalen Ebene gelegt. Es ist bedeutsam, schon in dem Stadium der Entstehung von Vorgaben präsent zu sein. Nicht umsonst haben die deutschen Bundesländer auch Landesvertretungen in Brüssel etabliert.
Melanie: Rechtlich unterstützen können Juristinnenvereinigungen natürlich besonders gut! Gibt es eigentlich noch weitere europaweite so aktive Frauenvereinigungen?
Dace: Ich weiß, dass sich in Brüssel auch der europäische Wissenschaftlerinnenverband gegründet hat. In Brüssel hatten wir einen intensiven Austausch zum Thema „Frauen in Führungspositionen“ und die spezifischen Hindernisse für ein Fortkommen besprochen. Bei den Wissenschaftlerinnen besteht u.a. das Problem, eine hohe Anzahl an Veröffentlichungen erreichen zu müssen. Da viele Frauen sich aus familiären Gründen zeitweise zurücknehmen, ist nachvollziehbar, dass diese nicht in gleicher Schlagzahl publizieren können, wie ein Mann in der gleichen Zeit. Ferner haben wir noch fachliche und interdisziplinäre Kontakte, die bis nach Asien, die USA und auch zu den dortigen Eliteuniversitäten reichen. Derzeit haben wir ein gemeinsames Projekt mit der Universität von Berkeley.
Melanie: Woher kam bei Ihnen das Interesse sich europaweit zu vernetzen und zu engagieren?
Dace: Mein besonderes bilaterales ehrenamtliches Engagement führte mich schnell aus dem Bilateralen in das Internationale und sicherlich ist es auch meine aus der europäischen Geschichte heraus tief empfundene Begeisterung für die gesamteuropäischen Idee, die mich zu meinem europäischen Engagement bewegt hat. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie wir zusammen in beeindruckender Weise mit dem damaligen Kommissionspräsidenten Barroso in Den Haag das 60. Jubiläum der Europäischen Bewegung mit Zeitzeugen (!) des Gründungskongresses von 1948 gefeiert haben. Auch der Zufall spielte eine Rolle, der mich beruflich von Deutschland aus dann in viele weitere Länder geführt hat. Und auch die wirtschaftlichen Beziehungen innerhalb Europas werden immer enger. Dies war zunächst aus der Weltkriegsgeschichte heraus gewollt und ist heute umso mehr eine Notwendigkeit angesichts neu entstehender Wirtschaftsblöcke, die sich in Asien und jenseits des Atlantiks entwickeln. Selbst wenn die Europäischen Gipfelkonferenzen nicht immer den Eindruck hinterlassen, dass dies alle Regierungen gleichermaßen so sehen.
Zudem ist dieser juristische Freundschaftskreis, der in unserer Organisation und unter den engagierten Juristinnen entstanden ist, ein gutes berufliches Netzwerk, das sich auch gut „einspannen“ lässt, um nach einer juristischen Expertin in dem einen oder anderen Land für spezielle Fachthemen zu suchen, aber auch selbst für einen beruflichen Fall angesprochen und beauftragt zu werden.
Melanie: Haben Sie konkrete Tipps, wie man sein/ein (europaweites) Netzwerk am besten ansprechen kann? Oft besteht diesbezüglich ja eine gewisse Hemmnis.
Dace: Einfach machen. Ich würde einfach nach AnsprechpartnerInnen recherchieren und Emails schreiben, sich interessieren. Auch Anfragen an Verbände stellen. Heutzutage überwindet Technologie (auch Sprach-)Grenzen mühelos. Die Menschen sind viel stärker aneinandergerückt. Einfach machen.
Melanie: Vielen Dank, liebe Frau Dace Luters-Thümmel. Können Sie noch zum Abschluss einen Fun Fact über sich nennen?
Dace: Ich habe am Polarkreis einen Führerschein für Rentierschlitten gemacht und darf diesen daher fahren. Und was mich noch letztens zum Nachdenken gebracht hat: mein westdeutscher Klassenlehrer sagte – damals noch zur Zeit des kalten Krieges – in der Schule zu mir, dass ich einmal den lettischen Justizminister beraten würde. Ich habe baltische Wurzeln. Dies erschien mir damals zu Zeiten der Sowjetunion völlig irreal. Aber tatsächlich ist es so gekommen, dass ich die Republik Lettland zwecks EU-Rechtsübernahme später beraten habe. Das macht mich ein bisschen stolz. Es ist ein Lehrstück über „Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse“ [Der schwarze Schwan, Nassim Nicholas Taleb].
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