Wo ist Fußball-Deutschland?

Was die Frauen-EM in der Schweiz über unsere Gesellschaft verrät – und was sich endlich ändern muss

In der Schweiz läuft derzeit die Fußball-Europameisterschaft der Frauen. Ein Turnier mit großer sportlicher Bedeutung, mitreißenden Spielen – und gleichzeitig einer bedrückenden gesellschaftlichen Realität: Denn obwohl die Leistungen der Spielerinnen auf höchstem Niveau sind, fehlt vielerorts etwas Entscheidendes.

Die Sichtbarkeit. Die Anerkennung. Die Begeisterung.

Während bei Männerturnieren in Deutschland flächendeckend mitgefiebert, diskutiert und gefeiert wird, bleibt es um die Frauen-EM vergleichsweise still. Wo sind die Fanmeilen? Die Public-Viewings? Die großen Medienanalysen? Wo ist Fußball-Deutschland?

Die Abwertung beginnt nicht auf dem Platz – sondern in den Köpfen

Noch immer wird sich über Frauenfußball lustig gemacht. Er wird als „langsamer“, „technisch schlechter“ oder gar „langweilig“ abgestempelt – oft von Menschen, die noch nie ein ganzes Spiel gesehen haben. Spielerinnen müssen sich nicht nur in jeder Sekunde beweisen, sondern sich gleichzeitig gegen Klischees und sexistische Kommentare wehren.

Das betrifft auch ihre Präsenz abseits des Rasens. Ein Beispiel, das derzeit viral geht: Alisha Lehmann, Nationalspielerin der Schweiz, wechselt 2024 gemeinsam mit ihrem damaligen Freund Douglas Luiz zu Juventus Turin. Zwei Profis, ein Verein – aber Welten dazwischen:

„Wir machen denselben Job – aber er verdient hundertmal mehr als ich.“ – Alisha Lehmann

Diese Zahlen machen deutlich: Gleiches Spiel – aber kein gleiches Spielfeld.

Wenn Make-Up mehr Aufmerksamkeit bekommt als Spieltaktik

Was bei Männern als „cleveres Personal Branding“ gilt, wird Frauen oft als „Selbstdarstellung“ ausgelegt. Frauen, die in der Öffentlichkeit stehen, sich inszenieren, Netzwerke nutzen oder mit Make-Up auflaufen, werden bewertet – und oft abgewertet. Dabei hat Leistung nichts mit Lippenstift zu tun. Und doch müssen sich Frauen im Sport immer wieder für ihr Aussehen rechtfertigen, statt für ihr Können gefeiert zu werden. 

Die doppelte Bewertung ist allgegenwärtig – und nicht nur im Fußball. Sie betrifft auch Frauen in der Wirtschaft, in Führungspositionen, in den Medien. Ein Verhalten, das bei Männern Stärke symbolisiert, gilt bei Frauen oft als Eitelkeit, Arroganz oder „unnötige Aufmerksamkeit“.

Warum das auch ein Business-Thema ist

Die Realität ist klar: Wer weniger verdient, muss andere Einnahmequellen erschließen. Für viele Fußballerinnen bedeutet das Social Media, Sponsoring, Markenaufbau. Das ist nicht nur Selbstdarstellung – es ist strategische Einkommenssicherung in einem strukturell benachteiligten System.

Statt diese Wege zu kritisieren, sollten wir fragen:
Warum ist das überhaupt notwendig?

Was wir jetzt brauchen

  • Mediale Sichtbarkeit für die Frauen-EM – nicht als Nischenthema, sondern als gleichwertiges Sportevent.

  • Gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit – auch im Profisport.

  • Ein Ende der Doppelmoral – in Sport, Medien und Wirtschaft.

  • Mehr Vorbilder – und weniger Vorurteile.

Die Frauen-EM ist mehr als ein Turnier. Sie ist ein gesellschaftlicher Prüfstein. Und wir alle – als Fans, Unternehmen, Medien, Konsument:innen – entscheiden mit, wie dieser Test ausgeht. Also: Wo ist Fußball-Deutschland? Hoffentlich bald da, wo es hingehört – an die Seite seiner Spielerinnen.