Frauen in der Politik – „Ja, wir sollten alle Feministen sein“
Angela Merkel war die erste Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland. Sie ist ein Vorbild für viele Frauen in der Politik. Merkel wurde zu einer der wirkungs- und machtvollsten Politiker:innen weltweit. Sie war stets da, um die Freiheit und die Demokratie zu verteidigen. In einer neuen Dokumentation auf ARD über ihr politisches Leben nannte Barack Obama sie „eine Quelle der Beständigkeit in sehr schweren Zeiten“. Doch dieser Text soll keine Biografie über Angela Merkel werden. Dazu verweise ich sehr gerne auf ein jüngst erschienenes Buch über Merkel und ihr politisches Vorgehen: „Die Kanzlerin“ von Ursula Weidenfeld.*
Aber was lernen wir aus der Ära Merkel?
Auch Angela Merkel hatte keinen einfachen Weg bis sie zu einer Ikone wurde. Die Biografie von ihr zeigt klar patriarchalische Strukturen in der Politik auf, denen sie sich entgegensetzten musste. Diese waren zum Beginn ihrer politischen Karriere noch ausgeprägter als heute. Anfangs wurde sie beispielsweise durch Kolleg:innen oder Journalist:innen als „Maus“ oder „grau“ bezeichnet. Eine Herabdegradierung und eine Verniedlichung, um eine Frau in der öffentlichen Wahrnehmung nicht ernsthaft wirken zu lassen. Aber auch noch heute bestehen derartige patriarchalische Strukturen. Die langen Sitzungszeiten, der „Klüngel“, wie man im Rheinland sagt, und die Stammtischkultur. Alles Dinge, die Frauen tendenziell eher ablehnen. Es ist freilich kein Zufall, dass Frauen in der Politik signifikant unterrepräsentiert sind. Dies liegt sicherlich nicht – wie böse Zungen behaupten – an einem fehlenden politischen Interesse von Frauen. Vielmehr schrecken die bestehenden Strukturen ab, sich zu engagieren.
Daneben werden Politikerinnen in der Öffentlichkeit für Äußerlichkeiten und Fehler deutlich strenger gemustert, bewertet und kritisiert als ihre männlichen Kollegen. Was ich mich frage: Was hat die Frage nach, z.B. dem Outfit von Annegret Kramp-Karrenbauer oder Annalena Baerbock mit deren Kompetenz zu tun? Warum diskutieren wir mehr über die Schnitte von irgendwelchen Blazern und Kleidern von Politikerinnen als über politische Inhalte? Derartige Diskussionen zielen meiner Meinung nach genau auf das eine Phänomen ab: Herabdegradierung auf Äußerlichkeiten, um sich nicht mit den wesentlichen Inhalten auseinandersetzen zu müssen. Denn die Frauen könnten ja vielleicht gute Ideen haben, was patriarchalische Strukturen aber gefährden könnte. Alles – meiner Meinung nach – Anzeichen dafür, dass von der Gesellschaft, Frauen in führenden politischen Situationen noch nicht vollständig akzeptiert sind.
Wir brauchen mehr Frauen in der Politik!
Warum schreibe ich das alles eigentlich? Ja, es ist eine unbequeme Wahrheit und ich mache mich damit sicherlich sehr angreifbar. Aber ich sehe in der extremen Unterrepräsentanz von Frauen in der Politik ein großes Problem für unsere Demokratie, denn unsere Parlamente sollen die Bürger:innen widerspiegeln. Nicht nur politische Haltungen und Weltansichten, sondern auch die Bedürfnisse wiedergeben, um auf diese reagieren zu können. Wenn rund 50 % der deutschen Bevölkerung weiblich sind, warum ist nicht ansatzweise die Hälfte aller Politiker:innen weiblich?
Die geringe Anzahl von Frauen in der Politik ist ein Grund dafür, dass z.B. das Thüringer Paritätsgesetz als verfassungswidrig eingestuft wurde. Um den Frauenanteil im Landesparlament zu erhöhen, sollten die Parteien in Thüringen ihre Kandidatenlisten für Landtagswahlen abwechselnd mit Männern und Frauen besetzen. Dieser Ansatz ist leider in Deutschland bisher gescheitert. Spitzenreiter in Sachen Parität ist übrigens Hamburg, wo 43,9 % der Abgeordneten Frauen sind, wie eine Übersicht der Landeszentrale für politische Bildung in Baden-Württemberg zeigt. In Bayern – dem Schlusslicht – sind dagegen nur 27,3 % der Abgeordneten weiblich. Dagegen hat Frankreich übrigens schon seit 2000 ein Parité-Gesetz.
Es braucht mehr mutige Frauen, die sich den patriarchalischen Strukturen entgegensetzen. Sonst wird sich unsere politische Realität nicht verändern. Allerdings brauchen wir gerade eine solche Veränderung in unserer krisengeprägten Welt, denn vielfältigere Politiker:innen bringen auch unterschiedlichere Ideen und Lösungsansätze mit. Nur so kommen wir als Gesellschaft vorwärts. Daher bin ich beispielsweise nun auch einer Partei beigetreten und möchte mich engagieren. Ich möchte nicht nur meckern, sondern etwas machen.
Bist du politisch interessiert? Dann engagier dich und bring deine Ideen mit ein! Die Welt braucht mehr kluge, engagierte und kreative Köpfe um die aktuellen und künftigen Probleme zu lösen. Wir brauchen mehr Frauen in der Politik!
Bist du Feminist:in?
Fan von Angela Merkel wurde ich übrigens, als diese auf der Bühne des Düsseldorfer Schauspielhauses 2021 in einer Talkrunde verkündete „Ja, wir sollten alle Feministen sein“. Wie kam es dazu? 2017 antwortete Merkel zögerlich bei einem Frauengipfel auf die Frage, ob sie sich als Feministin betrachte, dass sie sich mit diesem Titel nicht unbedingt schmücken wolle.
Was hat Merkel in den kommenden Jahren getan? Sie hat sicherlich nachgedacht, ihre Position und ihren Werdegang reflektiert. Die derzeitigen Machtinhaber angeschaut und festgestellt, dass fast alle Männer sind. Mit Gleichberechtigung kann das nicht viel zu tun haben, denn sie hat mit Sicherheit viele kluge und tolle Frauen kennengelernt, die den Job genauso, vielleicht sogar besser, hätten hinbekommen können. Vier Jahre nach ihrer ersten Aussage zu dem Thema revidierte sie daher ihre Aussage. Denn beim Feminismus geht es im Grunde darum, dass Frauen und Männer im gleichen Maße am gesellschaftlichen Leben teilhaben.
Was haben Merkel und ich gemeinsam?
Auch ich habe mich nicht immer als Feministin bezeichnet. Gleichberechtigung und Diversity sind für mich zwar schon immer wichtige Themen gewesen, für die ich mich eingesetzt habe. Aber der Begriff „Feminismus“ wird in der Öffentlichkeit leider teilweise noch sehr negativ verstanden. Daher verwendet ich übrigens auch oft den Begriff „female empowerment“, obwohl dies für mich praktisch die gleiche Bedeutung hat. Aber eine englische Bezeichnung klingt in den Ohren der meisten Leute gleich viel cooler als die „durchgeknallten Feministen“. Aber heute traue ich mich auch klar zu sagen: Ich bin Feministin. Ich bin fest davon überzeugt, dass eine gerechtere Welt, eine bessere für alle Menschen ist. Und nein, durch mehr Gleichberechtigung werden keine Männer diskriminiert. Gerne bezeichne ich mich selbst auch noch als „Feministin-in-progress“, denn auch ich habe noch nicht alle Tiefen und Breiten des Feminismus verinnerlicht.
Ein Interview mit der jungen, aufstrebenden Politikerin Wiebke Winter findest du hier.
* in freundlicher Zusammenarbeit mit Audible