
Der Fall Frauke Brosius‑Gersdorf
Die Wahl einer Richterin an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) ist kein alltäglicher Vorgang – sie ist ein Akt demokratischer Selbstvergewisserung. Und doch zeigt sich bei der jüngsten Ernennung einer neuen Richterin, wie brüchig diese demokratische Selbstverständlichkeit werden kann, wenn sie mit Geschlecht, Macht und rechter Hetze kollidiert. Das BVerfG ist das Herzstück unserer Demokratie. Wer hier sitzt, entscheidet über Grundrechte, Staatsstrukturprinzipien, Gleichheit, Freiheit – über das Fundament unserer Gesellschaft. Dass mit der Wahl einer renommierten Juristin erneut eine Frau an dieses höchste Gericht berufen wurde, ist ein starkes Zeichen: für Gleichberechtigung, für Diversität, für Fortschritt.
Frauke Brosius‑Gersdorf, renommierte Staatsrechtslehrerin der Universität Potsdam, wurde von der SPD für das Bundesverfassungsgericht nominiert – mit Aussicht, Vorsitzende des Zweiten Senats und ab 2030 sogar Präsidentin des Gerichts zu werden. Ihre Wahl wurde jedoch aufgrund interner Koalitionsstreitigkeiten um Abtreibung und vermeintliche Positionen wie ein Kopftuchverbot auf Antrag der CDU/CSU überraschend von der Bundestags-Tagesordnung abgesetzt
Diffamierung statt Debatte
Statt sich sachlich mit der juristischen Expertise der Richterin auseinanderzusetzen, erleben wir eine orchestrierte Diffamierung durch rechte und rechtspopulistische Gruppen. Plötzlich wird nicht über Urteile oder Qualifikationen gesprochen, sondern über angebliche ideologische Nähe, über Genderpolitik, über „linke Netzwerke“. Der Angriff gilt nicht der Person – er gilt dem, wofür sie steht: Emanzipation. Rechtsstaatlichkeit. Demokratische Teilhabe.
Diese Form der Delegitimierung ist gefährlich. Sie zielt nicht nur auf eine Einzelperson, sondern auf das Vertrauen in Institutionen. Sie will Misstrauen säen gegenüber allem, was nicht der alten, männlich geprägten Ordnung entspricht. Frauen mit Macht? Unerträglich. Juristinnen mit Haltung? Verdächtig. Aber wie so oft, wenn Frauen sichtbar werden – und noch dazu Macht übernehmen –, kommt nicht nur Applaus. Es kommt Gegenwind. Und dieser Gegenwind weht laut, wütend und von weit rechts.
Frauke Brosius‑Gersdorf hat sich wissenschaftlich klar positioniert: eine Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen bis zur zwölften Woche befürwortet sie als verfassungskonform, widersprach jedoch entschieden der Darstellung, sie habe eine Straffreiheit bis zur Geburt gewollt. Damit verteidigt sie Frauenrechte als Grundrechtsfragen und rückt die rechtliche Gleichstellung ins Zentrum des Verfassungsrechts.
Die öffentliche Debatte war geprägt von persönlicher Diffamierung: Brosius‑Gersdorf berichtete von Drohungen, Hassmails und unsachlicher Berichterstattung, in der sie als „Kindsmörderin“ bezeichnet wurde. Sie wies diese Darstellungen als realitätsfern zurück und betonte, sie stehe für gemäßigte Positionen aus der gesellschaftlichen Mitte
Knapp 300 renommierte Juristinnen und Juristen – darunter mehrere ehemalige Richterinnen des BVerfG – veröffentlichten einen offenen Brief, in dem sie den Umgang mit Brosius‑Gersdorf als Angriff auf Wissenschaftsfreiheit und demokratische Kultur kritisierten. Sie warfen politischen Entscheidungsträgerinnen fehlendes Rückgrat und unzureichende Vorbereitung im Nominierungsprozess vor.
Politische Folgen – Demokratie in der Krise
Die Kontroverse zeigt, wie Frauen mit Macht – gerade im Rechtsbereich – gezielt attackiert werden:
Von rechten Gruppen werden Frauen mit klarer Haltung stigmatisiert.
Juristinnen werden nicht über ihre Expertise, sondern über vermeintliche Ideologie beurteilt.
Frauenrechte – z. B. Selbstbestimmung im Schwangerschaftskonflikt – werden systematisch zu Kampffeldern hochstilisiert.
Dabei ist Brosius‑Gersdorf kein Extremist: Sie vertritt eine gemäßigte, wissenschaftlich fundierte Haltung, die breit im gesellschaftlichen Konsens liegt
Die Wahl – und der Anschlag – auf Frauke Brosius‑Gersdorf sind weit mehr als ein parlamentarischer Eklat. Sie sind ein feministischer Prüfstein für die Deutsche Demokratie:
Frauenrechte verfassungsrechtlich denken – Abtreibung, Parität, Kopftuchfragen sind keine «neuen Themen», sondern Grundsatzfragen.
Gerichte sind Hebel gesellschaftlicher Entwicklung – und müssen ohne Ideologisierung besetzt werden.
Demokratie braucht starke Frauen in starken Ämtern – gegen jeden Versuch, sie mundtot zu machen.